02 - Die Reise nach Stanton

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Wie erwartet war die Reise eintönig. Das Quantumfeld blockierte sämtliche Funk- und Datenverbindungen und trotz ihrer Größe hatte die Naomi Asada nicht viel zu bieten.

Sauna, Bar, klar war alles vorhanden. Aber das war hier kein Kreuzfahrtschiff, so dass man sich schon selber bedienen musste.

Das beste, was mir blieb: die reichhaltige Bibliothek des Datenservers durchforsten und versuchen, möglichst viel über meinen zukünftigen Arbeitsplatz in Erfahrung zu bringen.

Stanton.


Bislang hatte ich noch nicht viel von dem System gehört oder gelesen. Doch jetzt, wo ich die Daten des Systems auf dem Monitor hatte sah ich, dass das ein Versäumnis war.

Eigentlich hätte das System eines von vielen unwichtigen, drittklassigen Systemen irgendwo im unendlichen Nichts des Verse bleiben können: die unwirtlichen Planeten taugten kaum für eine Kolonisierung und strategisch hatte Stanton auch keine besonders große Bedeutung. Zumal jede Besiedelung extrem gesichert werden müsste da der Nachbarsektor, Pyro, ein piratenverseuchtes Höllenloch war.

Da sich die UEE gerade vom letzten Krieg erholte und dringend Geld brauchte, entschloss sie sich zu einem Experiment: sie verkauften die Fels- und Eisbrocken Stantons an Großkonzerne. Sollten die doch da draußen glücklich werden.


Noch heute streiten die Experten, ob das Ganze nur ein Fehler war oder ausgesprochen dumm. Denn die vier Großkonzerne, die die Planeten gekauft hatten, spülten zwar reichlich Geld in die Kassen der UEE, warfen aber noch weit mehr Geld auf die eigentlich unbewohnbaren Planeten Stantons, um sie mittels teurem und langwierigem Terraforming zu wahren Paradiesen zu machen.


Stanton I ging an Hurston Dynamic. Ein Waffenhersteller, der tausende Jobs einfach fallen ließ, um seine gesamte Produktion im Stanton-System zu konzentrieren. Eine Entwicklung, die viele Systeme und auch die UEE verärgerte, aber zur ersten Auswandererwelle nach Stanton führte – denn dort entstanden nicht nur die woanders abgebauten Jobs neu, sondern jede Menge neuer Arbeitsplätze drum herum. Und Hurston Dynamics ist heute größer als je zuvor.

Und rohstoffhungriger, was gut für uns war. Denn aus genau diesem Grund ist die Asada Corporation ja auf dem Weg nach Stanton.


Stanton II – Ein nutzloser Gasriese, den man nicht kolonisieren kann.

Sagten alle Experten der UEE.

Und doch kaufte ihn Crusader Industries zu einem Preis, der durch die abbaubaren Gasvorkommen einfach nicht gerechtfertigt wurde. Zwar konnte man einige wichtige Gase aus der dicken Atmosphäre Stanton2 extrahieren, aber der Aufwand stand in keinem Verhältnis zum Ertrag.

Doch ein genialer Wissenschaftler bei Crusader hatte etwas entdeckt, was allen anderen offenbar entgangen war: eine Luftmassengrenze in etlichen Kilometer Höhe über dem winzigen Planetenkern. Und die chemische Zusammensetzung der Schicht darüber war geeignet für ein erstaunliches und bislang einmaliges Experiment: die Wissenschaftler von Crusader Industries setzten die Atmosphäre von Stanton 2 förmlich in Flammen. Trotz der Befürchtungen seitens Hurston Dynamics explodierte der Gasriese jedoch nicht und als das Schauspiel Jahre später langsam erlosch, blieb eine atembare Luftschicht zurück. Crusader begann in den folgenden Jahrzehnten, schwebende, oder genauer: auf der Luftmassengrenze schwimmende Plattformen aufzubauen.

Heute produziert Crusader Industries in dem Gasriesen seine Schiffe und profitiert dabei von der geringen Schwerkraft, ohne auf orbitale Werften mit Schwerkraftgeneratoren angewiesen zu sein. Ein Vorteil, bei dem sich andere Hersteller jetzt in den Hintern beißen, dass sie nicht selber darauf gekommen sind.


Crusaders Industrien lockten natürlich auch zahlreiche Zulieferer an. Allen voran ArcCorp, die sich Stanton III aneigneten und zu einem Technologieplaneten ausbauten, auf dem es einfach alles zu kaufen gibt. Fusions- und Schildgeneratoren, Waffen, Schiffsysteme. Eine endlose Flotte von Frachtern schafft Rohstoffe nach Stanton III und danach die Produkte rüber zu Crusader. Ich machte mir eine Notiz, dass man hier eventuell einen Einstieg in die Wirtschaft des Stanton-Systems finden könnte.


Und dann ist da noch Microtech.

Zuerst bestand an Stanton IV keinerlei Interesse. Kalt, unwirtlich, abgelegen. Die eisige Luft war zwar halbwegs atembar, aber wer wollte in ständigem Frost leben?

Die Antwort darauf war Magnus Tobin: der geniale Programmierer, Entwickler und Geschäftsmann kaufte den abgelegenen Eisblock und hatte plötzlich keinerlei Probleme mehr, seine riesigen Rechenzentren zu kühlen. Und der ewige Frost machte die Produktion von Supraleitern, die nur bei tiefsten Temperaturen möglich war, nicht nur einfacher, sondern vor allem billiger.

Globale Erwärmung? Was bei den meisten Industrieplaneten schnell zu einem Problem wird, war auf Stanton IV ein gewünschter Nebeneffekt: die Temperaturen des Planeten stiegen langsam in einen Bereich, wo man sich auch ohne Spezialausrüstung kurzzeitig im Freien aufhalten konnte. So wurde Stanton IV schnell zu einem Zentrum für Datenverarbeitung und -speicherung. Microtechs Kommunikationsnetz ist heute in nahezu jedem Sektor der UEE zu finden – und manche sagen, auch darüber hinaus.

Tobin benannte die Hauptstadt seines neuen Reiches nach dem Erfinder der ersten programmierbaren Rechenmaschine - Charles Babbage - und machte Stanton IV nicht nur zu einem Mekka für Programmierer und Hightech-Nerds, sondern auch zu einem beliebten Ziel für Wintersportler.

Microtech lockt mit Luxus, einem ausschweifenden Nachtleben und den immer neuesten Computern und Technologien.

Ein Planet, dem ich sicher mal einen Besuch abstatten werde.


Eine der Firmen, die sich hier zwischen den vier Großkonzernen eingenistet hatte, war ausgerechnet Shubin Interstellar. So, wie Shubin uns in anderen Sektoren Konkurrenz macht, werden wir denen jetzt hier auf die Füße treten und versuchen, ein möglichst großes Stück von ihrem Kuchen abzuschneiden. Und das wird wohl der Hauptgrund sein, weshalb sich Ethan Asada entschlossen hat, nach Stanton zu expandieren: hier bedrohen wir Shubin direkt in deren „Hinterhof“ und wenn sie sich darauf konzentrieren müssen, dann können sie uns nicht woanders in die Quere kommen. Vielleicht hat Asada ja wieder was Großes vor, wo die Konkurrenz nicht im Weg stehen sollte.

Aber was auch immer es ist – ich werde hier sicher nicht nur das Ablenkungsmanöver geben. Wir werden uns hier fest setzen und dann kann Shubin ja mal schauen, wie sie damit klar kommen.


Stanton ist zwar immernoch abgelegen, aber die Securities der Konzerne halten das Piratenproblem so gut in Grenzen, dass die UEE sich nicht groß um das System kümmern muss. Und die Konzentration an Technologie, Schiffen und vor allem Geld gibt dem System eine Bedeutung, die weit über seinen strategischen Wert hinaus geht.


Da hat sich der alte Asada ein interessantes System ausgesucht, um die Corporation wieder an die Spitze zu bringen.