Logbuch Alaska_Seadeleare / UEE Standartzeit 21.08.2955 - 019:40 / Gaslight Station - Pyro
Meine Schulter pocht vor Schmerz. Irgendetwas muss mich getroffen haben, als wir in diese ASD-Fabrik eingedrungen sind. Mein linker Arm ist zwar noch voll funktionsfähig – ich kann ihn ohne Mühe heben –, doch spüre ich deutlich, dass ich einen Streifschuss erlitten habe. Mein Novikov-Anzug hat wohl das Schlimmste abgehalten. Doch an der Stelle, an der das Projektil einschlug, haftet ein merkwürdig grünliches Sekret. Vielleicht habe ich mir das an den Gebäuden der Anlage zugezogen... oder war es auf dem Geschoss selbst? Ich muss die anderen fragen, ob sie ähnliche Spuren an ihren Anzügen entdeckt haben.
Aber all das ist nur ein Nebenschauplatz. Was mir wirklich Kopfschmerzen bereitet, ist die Wendung, die mein Aufenthalt in Pyro genommen hat. Seit Monaten streife ich durch dieses System und musste bislang nie eine Waffe ziehen. Doch seit ich Friedrich Winters und seine Leute kennengelernt habe, kleben beinahe zehn Menschenleben an meinen Händen. Zugegeben: Es waren Situationen, in denen kaum eine andere Wahl bestand. Und doch war ich nie zuvor in solche Lagen geraten. Ich war überzeugt, dass ein Raumfahrer mit Verstand und Worten jeder brenzligen Lage entkommen kann. Nun aber sehe ich mich Menschen gegenüber, die beim Anblick eines Fremden sofort den Abzug betätigen.
Jetzt bin ich Teil dieser Geschichte, ob ich will oder nicht. Das Schlimmste daran: Nachdem Brubacker erzählt hat, was er, Zero und wohl auch Friedrich hinter diesen ASD-Laboren vermuten, weiß ich, dass es kein Zurück mehr gibt. Selbst wenn ich es wollte. Was diese Leute im Namen der Wissenschaft treiben, muss ans Licht. Der Ruf der Forschung selbst steht auf dem Spiel. Wenn die Menschen erfahren, was im Schatten von Stanton und Pyro geschieht, fürchte ich, dass sie sich irgendwann gegen die Universitäten erheben werden. Es wirkt, als arbeiteten Kreise innerhalb der UEE daran, ein neues Messer-Regime aufzubauen. Und was stünde am Anfang eines solchen Weges? Der Sturm auf Universitäten, die Unterdrückung freier Wissenschaft und die Knebelung freier Meinung. Grundlage jeder Diktatur.
Ich wundere mich immer wieder, wie sehr die Gelehrten der SCIUN in ihren Fachrichtungen versinken, blind für die politischen Dimensionen unseres Handelns. Ich las in alten Archiven: Vor fast neunhundert Jahren auf der Erde traf es zuerst die Universitäten – und dann den Rest der Gesellschaft. Hyperion mag mich für einen Alarmisten halten. Doch ich muss ihm davon berichten. Darum will ich in Pyro bleiben, trotz der Gefahr, Situationen ausgesetzt zu sein, auf die ich nie vorbereitet wurde.
Auch in unserer Gruppe verändert sich etwas. Der Umgangston wird militärischer. Ein Umstand, der mir zutiefst widerstrebt. Auf Arch-Angel habe ich erlebt, wie militärische Hierarchien selbst das Private vergiften. Ein Befehlston, der in Gefahrensituationen vielleicht nützlich ist, dringt nun auch in unsere Gespräche ein. Und ich – nach Jahren mit solchen Leuten auf Arch-Angel – reagiere allergisch darauf. Die alten Narben brennen wieder.
Das Militärische dominiert die UEE ohnehin so sehr, dass man erst durch den Militärdienst ein vollwertiger Bürger werden kann. Ein Erbe des Messer-Regimes? Ich weiß es nicht. Aber ich spüre, wie die Militarisierung unser aller Leben durchdringt, selbst in Stanton.
Was die Dynamik unserer Gruppe betrifft: Ich muss abwarten. Erstens, weil ich Pyro nicht verlassen kann. Zweitens, weil ich wissen muss, was in diesen ASD-Laboren wirklich geschieht. Wir haben versucht, ohne Blutvergießen vorzudringen – und doch starben fünf Menschen durch meine Hand. Siruck und Hyperion mögen recht haben: Keine Wissenschaft ist solche Opfer wert. Aber ich entkomme diesem Netz nicht. Zu viel habe ich von Brubacker über die Verbindung zwischen ASD und Enos erfahren. Ich kann mich nicht länger hinter meinen Artefaktfunden verstecken. Um der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft willen muss ich herausfinden, was ASD ist und welches Spiel es treibt. Ich werde Hyperion ein Kurz-Memo schicken – wenigstens das. Möge er mir nicht daraus einen Strick drehen, wenn ich nun gezwungen bin, Dinge zu tun, die mit der Carta der SCIUN kaum vereinbar sind.
Und dann ist da noch Lyrana. Mein Verhältnis zu ihr hat sich verändert. Ich muss bald mit ihr sprechen. Ich fürchte die Veränderung, die mir bevorsteht, wenn ich mich diesem militärischen Denken unterordne. Mein Innerstes sträubt sich. Ich hatte nie die Absicht, Citizen zu werden. Ich wollte Civilian bleiben – das genügte mir. Ich glaubte, meinen Weg hier in Stanton gehen zu können, ohne je eine Waffe ziehen zu müssen.
Doch das hat sich bereits geändert...
Alaskalog Ende