
Logbuch Alaska_Seadeleare / UEE Standartzeit 01.08.2955 - 017:25 / Basislager auf Vatra, Pyro
Jetzt war es also so weit: Ich habe an diesem Gefechtstraining teilgenommen – oder wie man es auch nennen will. Es war, wie man so schön sagt, kaltes Wasser, in dem ich noch nie zuvor geschwommen bin. Alles in allem lief es überraschend gut. Unsere Trainerin war, ihren eigenen Worten nach, durchaus zufrieden mit uns – also mit Pike und mir.
Pike kam natürlich von Anfang an besser mit den Waffen klar – er hatte so etwas schon öfter gemacht, wenn auch nicht unter den kontrollierten Bedingungen, die Lyrana für uns geschaffen hatte. Ich hingegen war erstaunt über mich selbst: Ich ging mit Neugier – und ein wenig Vorfreude – an die Sache heran. Die Tage zuvor hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie ich das mit meinem moralischen Kompass, der mir so wichtig ist, vereinbaren könnte. Doch am Ende war es eben nur ein Training. Vielleicht war ich deshalb... entspannt ist vielleicht das falsche Wort, aber doch irgendwie neutral eingestellt.

Lyrana hatte auf VUUR einen verlassenen Außenposten gefunden, an dem sie mit uns das Training durchführen wollte. Pikant daran war, dass sie uns verschwieg, dass der Posten verlassen war. Mit anderen Worten: Pike und ich dachten, dort würden Piraten hausen – und dass es ernst werden könnte. Ich dachte im ersten Moment: *Das kann doch nicht wahr sein, dass Lyrana uns gleich in eiskaltes Wasser wirft!* Doch es stellte sich heraus, dass alles nur eine Geschichte war – eine Finte von Lyrana, um uns Angstschweiß auf die Stirn zu treiben. Eine Prüfung also. Und ich bin ein klein wenig stolz darauf, diese Aufgabe – sich einem vermeintlich gefährlichen Ort wie ein Soldat zu nähern – gut gemeistert zu haben.
Ich fühle mich nun tatsächlich sicherer im Umgang mit der P4. Vielleicht könnte ich sogar als Teil eines Teams als Rückendeckung funktionieren. Anfangs hatte ich befürchtet, Lyranas Militärjargon würde mit ihr durchgehen, und ich würde wieder in eine Situation geraten wie damals auf *Archangel*. Doch nichts davon trat ein.
Im Verlauf des Trainings mit einem Scharfschützengewehr unterlief mir ein Fehler. Ein Schuss löste sich – und traf ausgerechnet einen Gastank, der sofort explodierte und Lyrana von den Füßen riss. Ich dachte, jetzt ist es vorbei – jetzt bekomme ich richtig was zu hören! Doch sie blieb erstaunlich professionell. Während des Trainings wies sie mich nur knapp auf die Gefahr hin. Erst nachher, in einem Nebensatz, wurde sie etwas schärfer. Hätte sie währenddessen laut reagiert, hätte das wohl meine Motivation zerstört. Dafür habe ich – erneut – Respekt.
Das Schießen mit dem Scharfschützengewehr... es hat mir am Ende tatsächlich Spaß gemacht. Ja, mein lieber Moralkompass, ich muss mich bei dir entschuldigen: Es war ein verdammt gutes Gefühl, auf große Distanz diese Gascontainer zu treffen. In dem Moment, in dem ich das Ergebnis meiner Anstrengung sah, fühlte ich mich beinahe unbesiegbar. Völliger Blödsinn natürlich! Aber so war es eben. Vielleicht ist es wie bei einem kleinen Jungen, der zum ersten Mal vom Dreirad steigt und plötzlich Papas Hoverbike in die Garage fahren darf.
Der Ort, den Lyrana für das Training ausgewählt hatte – dieser „Derelict Outpost“ – war tatsächlich einer, an dem sich gelegentlich Piraten niederlassen. Wir fanden sogar eine Leiche dort. Das relativierte die spielerische Stimmung, die manchmal aufkam. Es war zwar nur eine Übung, aber doch für den Ernstfall.
Dieses eine Training reicht sicher nicht, um mich wirklich für brenzlige Situationen zu wappnen. Ich hoffe, es gibt noch ein zweites.
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Wir sind nun auf „VATRA“, unserem letzten Mond. VUUR hätte ich mir gern noch länger angeschaut. Auch ADIR – den Sonnenaufgang dort zu erleben, war wunderschön. Ich habe das Gefühl, diese Monde ziehen wie vorbeifahrende Autos an mir vorbei. Ein kurzer Eindruck – und Minuten später weiß ich kaum noch, was ich gesehen habe. Vielleicht nehmen wir uns morgen früh Zeit, diesen letzten Mond in Ruhe zu betrachten. Und einfach einmal innezuhalten.
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Zero ist zurück. Noch auf VUUR tauchte er plötzlich in unserem Basislager auf. Ich dachte, er müsste sich erstmal eine ordentliche Standpauke anhören – einige waren sauer, dass er so lange verschwunden war. Er war im Stanton-System unterwegs, hatte dort jemanden getroffen – einen „Stormannsson“ oder so –, um einen Verdacht zu überprüfen. Plötzlich sprach er von einer „ENOS-Geschichte“, einer „ENOS-Kampagne“. Angeblich etwas, das die gesamte UEE hätte zu Fall bringen können. Ich selbst wusste davon nichts – vielleicht konsumiere ich die falschen Medien. Wir haben ja immerhin einen Journalisten bei uns... den hätte ich fragen können. Aber ich hatte kaum Kraft, noch mehr Fragen aufzuwerfen. Es war ohnehin schon zu viel passiert.
Ich kenne Zero noch von der Geschichte um die ersten Siedler Stantons. Ich *will* ihm vertrauen. Auch wenn er mit seinem Gerede über Propheten – und neuerdings von einer Art „Balance“ – langsam ein wenig nervt.
Wir flogen dann gemeinsam mit Zero, der wieder sein eigenes Schiff hatte, nach VATRA, um ein neues Lager aufzuschlagen. Es soll der letzte Mond unserer Expedition sein. Lyrana begleitete den Konvoi in ihrer Gladius und entdeckte in der Nähe eine offenbar noch bewohnte Siedlung. Wer dort lebte, blieb erst einmal unklar.
Schließlich hieß es, diese Siedlung gehöre zum „Headhunter-Territory“. Na, gute Nacht! Genau die Sorte Leute, denen ich nie begegnen will. Dank Lyranas Hinweis hielten wir uns fern. Ihr Transponder hätte den Headhunters sogar vorgaukeln können, selbst einer von ihnen zu sein – das machte ihren Anflug risikolos.
Doch später fragte ich mich: Warum versteht ihr Transponder überhaupt Headhunter-Codes? Lyrana ist unsere Sicherheitsbeauftragte. Sie wurde uns von den „Citizens for Prosperity“ mehr oder weniger vor die Nase gesetzt. Es dauerte lange, bis wir ihr vertrauen konnten. Und jetzt bringt sie dieses Vertrauen durch so eine Enthüllung ins Wanken?
Gerade hatte ich begonnen, ihre militärische Vergangenheit beiseite zu schieben, um von ihr zu lernen – besonders im Umgang mit Handfeuerwaffen. Vertrauen ist für mich essenziell. Diese ganze Sache mit Gewalt und Töten ist nichts, womit ich mich je beschäftigt hatte. Aber sie hatte mir meine Vorbehalte genommen. Ich ging mit einem guten Gefühl aus dem Training. Ich denke, Pike ging es ähnlich. Und jetzt... das?
In einer Besprechung wurde sie zur Rede gestellt. Wie konnte es sein, dass ihr Transponder mit Headhunter-Codes kommuniziert? Ich war müde. Einfach nur müde. Ich wollte nicht mehr misstrauisch sein. Ich war froh, ihr endlich vertrauen zu können.

Ich saß an diesem Tisch, hörte, wie die anderen ihre Bedenken äußerten. Brubacker, direkt wie immer, setzte ihr zu – und hatte doch recht. Er brachte auf den Punkt, was ein gestörtes Vertrauensverhältnis ausmacht. Lyrana erklärte schließlich: Ihre Gladius sei vor Jahren aufgebracht worden. Die Herkunft des Schiffs sei bis heute ungeklärt. Zero – der ohnehin eine Vorliebe hat, alte Dinge zu bergen und zu nutzen – konnte mit ihrer Erklärung offenbar gut leben. Bei mir blieb ein mulmiges Gefühl zurück.
„Bru“ kämpfte spürbar mit seinen Emotionen. Ich versuchte, sachlich zu schlichten – um des lieben Friedens willen. Ich wollte nicht, dass dieser Streit eskaliert. Am Ende blieb eine Art Arbeitsbeziehung – eine gute Basis, um weiterzumachen. Auch wenn das aufkeimende Vertrauen, das kurz aufgeblitzt war, nun scheinbar erloschen ist.
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Warum ist es immer wieder Brubacker, der so kompromisslos auf Leute zugeht? Vielleicht ist es sein journalistischer Instinkt. Vielleicht ist er einfach überlastet. In den letzten Stunden hatte ich das Gefühl, er sah Dinge, die andere nicht sahen – hörte Stimmen, spürte seltsame Dinge auf dem Schiff.
Er sprach von Türen, die sich wie von Geisterhand öffneten, von Lichtflackern – und dann dieser gellende Aufschrei, als wir den Frachtraum betraten. Er meinte, gestoßen worden zu sein – beinahe wäre er von der Balustrade gestürzt. Ich dachte erst, ich selbst hätte ihn versehentlich angerempelt, weil ich über das Geländer in den Frachtraum gesprungen war. Doch Pike widersprach klar: Ich war weit vor Brubacker über die Balustrade.
Fast wäre es mir lieber gewesen, ich hätte ihn aus versehen umgerempelt. So muss ich annehmen, dass entweder Brubacker nicht mehr ganz bei Sinnen ist – oder tatsächlich etwas an Bord dieses Schiffs vorgeht, das unserem Verständnis entgleitet. Ein Geist auf der „Lütten“?
Die Logbücher, die Hermi auf dem Schiff gefunden hat, lassen zumindest vermuten, dass sich hier Dinge ereignet haben, die einem Horrorfilm entstammen könnten. Ob das wahre Leben von Groschenromanen abgeschrieben ist – oder umgekehrt – weiß ich nicht. Doch die Dramaturgie gleicht sich.
Nun denn! Weitermachen. Ohren und Augen offen halten. Offen für das Unerklärliche. Und gleichzeitig aufpassen, dass niemand von uns durchdreht.
Kann man auf dieser Expedition nicht *einmal* in Ruhe seine Arbeit machen?
Nein! Wir sind in Pyro.
Irgendwas ist immer.