
Zitat"Es war der einzige Weg für mich. Der einzige Weg, dass etwas mir gehörte. Selbst mein Leben."
Es war gerade viel los, sehr turbulent, aufgeheizt, aggressiv. Auf der umgebauten Reclaimer, der Arche, hatten sich einige Mitglieder der Viz versammelt. Mechaniker, Techniker, Piloten, Soldaten jeden Ranges und Alters waren vertreten. Der Aufzug ins zweite Deck war so brechend voll, dass man aufpassen musste nicht gegen die Wand gepresst zu werden und seine Haut dabei zu verlieren. Als man oben ankam und sich die Schotten öffneten, stürmte einem das Gebrüll und Geschrei von Diskussionen entgegen. Aus der Ferne war es kaum zu verstehen, so durcheinander brabbelten alle wild drauf los. Die Viz redeten miteinander, übereinander, gegeneinander. In den ganzen Jahren hatte ich die Fraktion noch nie so zerüttet gesehen. Nur mit viel Kraft und Effet konnte ich mich durch die Menge zwängen um in die vorderen Reihen zu gelangen, in dem eine Art offene Debatte geführt wurde.
"Hey was ist hier los? Worum gehts?", fragte ich meine Nebenfrau, die sich die hitzige Debatte aufgeladen anschaute. Ihre Worte zischten und ihre Spucke brallte bei ihrem aufgebrachten Erklärungen in das Gesicht. "Na um die Imprint Scheiße natürlich. Diese Skags der UEE wollen unsere Freiheit und unsere Seele".
"Hä?", blickte ich verwirrt drein und löste mich augenblicklich von der Nebenfrau um mit spitzen Ohren dem Austausch zu lauschen. Und tatsächlich. Die neue Technologie, die Imperatorin Addison nun verbreiten wollte, spaltete die Viz. Die eine....kleine Seite war dafür, sah neue Chancen, ein besseres Leben und eine stärkere Viz-Gemeinschaft. Erkennbar, wenn man daran glaubte, dass unsere Piloten-Geschwader sich imprinten ließen und nun nach Gefechten wieder zurückkamen. Für die andere - viel größere - Seite war dies ein Affront. Die Toten sollen tot bleiben, die Seele sollen ruhen. Die Menschen im Zyklus, die durch einen Imprint wiederkamen, wurden Seelenlos genannt, Hüllen, Husks oder Sklaven. Die Imprint Technologie wurde als etwas angesehen, was freie Völker versklavte und jeder der sich auf so etwas einließe, sei kein echter Viz. Was ein Bullshit, dachte ich mir. Die Technologie war genial, auch wenn ihre Nachteile oder ethischen Bedenken nicht von der Hand zu weisen waren. Aber ich war jung, ich hatte noch nichts verstanden.
"Und was jetzt?", brüllte ich erzürnt rein?
"Was jetzt!? WAS JETZT!?", kam es ebenso laut aus der Mitte zurück. Die Blickte teilten sich nun und starrten meinen Gegenüber und mich an.
"Offenbar könnt ihr euch nicht einigen, also wieso lassen wir das Thema nicht einfach und jeder macht halt...sein Ding."
"Ah...ah noch so Einer, der seinen Kopf senkt, damit andere über ihn den Finger erheben", ließ mein Gegenüber mich wie einen Sonderling wirken. In mir kochte die Wut, meine Hände waren zu Fäusten geballt, meine Knöchel wurden weiß. Er erntete allerdings viel Kopfnicken und schon bald waren die Blicke der Mehrzahl verachtend auf mich gerichtet. Es war egal wo ich stand und wo die Wahrheit lag, die Menge hatte eine Dynamik entwickelt, die sich nur in eine Richtung zu bewegten gedachte.
"Ich sage wir stimmen ab! Wer ist dafür, dass wir die Imprints verweigern!? Keine Imprints, kein Viz", brüllte mein Gegenüber zum Appell. Es war schnell getan, eine klare Mehrheit war gegen die Imprints und beschloss damit, dass jeder der sich Imprinten ließ verstoßen werden würde. Doch die Menge wurde nicht ruhig. Sie war angefixt, sie war heiß, sie war aktiv. Einer brüllte plötzlich aus der Menge.
"Lass uns ihnen zeigen was wir von ihnen halten. Jagen wir die Sphäre in die Hölle wo sie herkommt"
Es war nicht der Ausdruck von Gewalt, das Bedrohen Unbeteiligter und das ankündigen eines terroristischen Aktes, der mit Angst machte.
Es war der Jubel danach.
Schon mal das Gefühl gehabt sau dämlich zu sein? Und ich mein nicht den Witz, den jemand erzählt, über den alle lachen mit Ausnahme von dir, weil du die Pointe nicht kapiert hast. Ich meine so richtig dumm. So unwiederbringlich, unausweichlich intellektuell jemandem unterlegen? So unterlegen, dass du bei jedem deiner Wort dir selbst nicht glaubst und dann schweigst, aber nicht weil du nicht weißt was du sagen willst, sondern weil du so intensiv dein Hirn darüber zermarterst, dass dir die Spucke wegbleibt. So sau dämlich. Ja. Genau.
Das war ich. In diesem Moment wo ich wieder vor Mr. Night stand. Mir schon wieder der Schauer den Rücken kalt herunter lief und Mr. Night mit mir schon wieder über Freiheit, Wahrheit, Licht, Dunkel und alles dazwischen redete. Aus dieser Nummer konnte es nur drei Ausgänge geben, darüber war ich mir im absolut Klaren. Entweder ich werde mächtig und steinreich, gehe elendig bei diesem Job drauf oder ich bestand mit verbundenen Augen meine Equivalency. Ich verstand wenn überhaupt nur die Hälfte von dem was ich glaubte gehört zu haben. In mitten der Sätze verlor ich manchmal den Faden, nickte dann, stotterte und versuchte so professionell zu wirken, wie es mir möglich war. Mit dem Ausgang im Rücken war ich aber die meiste Zeit damit beschäftigt in mein Rückenmark zu horchen und zu erahnen, ob es nicht noch eine Falle war.
"Wenn du Fragen hast, frag.", sagte Mr. Night bestimmend. Es war aber nicht an mich gerichtet. Glaub ich. Es war an die Rot-Lila-Dunkelhaarige Frau gerichtet, die sich immer dann hinter Mr. Night verkroch, wenn er anfing zu sprechen. Ihr Blick war stoisch, ihre Augen kalt. Sobald ich in ihr Gesicht blickte, entstand in mir der Eindruck in ein ewiges leeres Nichts hinein zu starren. Eine Hülle, die nicht ganz hier und nicht ganz da war, wo auch immer 'da' in diesem Moment hätte sein können. Sie sagte mir ihren Namen, den ich in dem Moment in dem er meine Ohren berührte schon wieder vergessen hatte. Mr. Night hatte ihr das Leben gerettet, sie aufgegabelt und nun stahl sie die Energie seines Schiffs um sich wieder zu reaktivieren?
Ich spüre wie ich gedanklich Abstand von mir nahm, von Mr. Night und der Situation. Mit jeder voranschreitenden Minute spürte ich wie mein Wesen in den Autopilot schaltete. Mein Mund bewegte sich, meine Gedanken kamen heraus, aber ich dachte nicht. War es Überforderung? War es das Schiff? War es Mr. Night? Sie fragte mich, ob ich denn glauben würde, dass Mr. Night irgendjemanden aufgabeln würde, wenn er denn nicht wirklich etwas besonderes in ihr sehen würde. An etwas Glauben? Jetzt gerade? Es war für mich nicht zu greifen, warum Mr. Night so weltfremd, so unmenschlich, so übernatürlich wirkte. Etwas in seiner Aura sagte mir, dass ich nicht mit einem normalen Philosophen sprach, sondern jemandem der entweder der Menschlichkeit transzendiert war oder nie wirklich dazu gehörte. Warum auch nicht? Als ob diese beschissene Galaxie nicht schon viel seltsamere Scheiße ans Tageslicht gebracht hatte.
In meinem Inneren zitterte ich, vor Angst, Furcht, Aufregung. Warum machte diese Situation mir so viel Unbehagen? Scheiße. Egal. Ich berichtete, was ich bisher herausgefunden hatte, dass ich Kontakte hatte, die mehr wissen würden und hoffte somit den Anschein zu erwecken Fortschritte zu machen. In Wahrheit trieb mich jede Faser meines Selbst voran, wollte sich beweisen, wollte mehr erfahren. Meine Neugier entwickelte sich zu einem Segen und zu einem Fluch. Nach meinem Treffen verließ ich Mr. Nights Schiff ohne einen längeren Gedanken daran zu verschwenden und reiste nach Lorville. In der M&V Bar suchte ich mir ein abgeschiedenes Plätzen auf einer Sitzbank und zündete mir einen Stimstängel an. Der blaue Rauch verließ gepresst meine Lippen. In meiner rechten Hand hielt ich ein Glas, welches von meinen Augen nachdenklich observiert nahezu durchbohrt wurde. Nur langsam kamen meine Gedanken wieder zur Ruhe, als das Stim sich den Weg durch meine Lungen in meine Blutbahn gebahnt hatte.
Es fing mit einem Satelliten an, aber es ging um unsere Menschlichkeit. Meine Menschlichkeit.